Nuklearmedizin

Vorwort

Die Nuklearmedizin ist der Bereich, in dem Kernphysik auf Medizin trifft. Hier werden dem Patienten γ-, β- oder sogar α-Strahler appliziert. Welcher Strahler verwendet wird, hängt ganz von der Fragestellung beziehungsweise der Intention ab – dabei wird grundsätzlich zwischen diagnostischen und therapeutischen Anwendungen differenziert. Damit die radioaktive Substanz vom Körper verstoffwechselt werden kann, liegt sie in jedem Fall in „offener Form“, die eine zerstörungsfreie Freisetzung ermöglicht, vor. Die Darreichungsformen reichen dabei, je nach Anwendung, von flüssig über fest bis zu gasförmig. Dies unterscheidet die Nuklearmedizin von allen anderen Fachbereichen, in denen radioaktive Substanzen eingesetzt werden, und hat aufgrund der potenziellen Inkorporations- und Kontaminationsgefahr weitreichende Konsequenzen für die anzulegenden Maßstäbe an den praktischen Strahlenschutz.

Im Folgenden erhaltet ihr eine kurze Übersicht über die diagnostische und therapeutische Nuklearmedizin sowie die Besonderheiten des Strahlenschutzes in der Nuklearmedizin. Für detailliertere Informationen werden wir nach und nach weitere Artikel für die einzelnen Anwendungen auf unserer Webseite veröffentlichen. Es lohnt sich also, regelmäßig vorbeizuschauen.

nuk abbildung

Inhaltsverzeichnis

Das Ziel der nuklearmedizinischen Diagnostik ist die Darstellung von Stoffwechselprozessen und somit der Funktion von Organen. Man spricht deshalb auch von funktioneller Bildgebung, die die morphologische Bildgebung der konventionellen Röntgendiagnostik ergänzt. Das Prinzip ist dabei relativ simpel: Der Patient erhält eine radioaktiv markierte Substanz (je nach Anwendung per Injektion, Ingestion oder Inhalation), deren Verlauf im Körper mithilfe eines Detektors dargestellt wird. Der zeitliche Verlauf der Anreicherung („Uptake“) gibt dabei Aufschlüsse über die Stoffwechselaktivität beziehungsweise die Funktion der untersuchten Region.

In den folgenden beiden Abbildungen sind die Prinzipien der konventionellen Projektionsradiographie (li.) und der nuklearmedizinischen Bildgebung mithilfe einer Gammakamera (re.) vereinfacht dargestellt:

projektionsradiographie
Skizzierung der Projektionsradiographie
szintigraphie
Skizzierung der Szintigraphie

Bei der Projektionsradiographie wird der Patient mit einer externen Strahlenquelle, der Röntgenröhre, ausgesetzt und die transmittierte Strahlung mithilfe eines Detektors gemessen. Das so generierte zweidimensionale Schwächungsprofil des Patienten lässt direkte Rückschlüsse auf die Morphologie des Patienten zu. Wird das System nun um den Patienten rotiert, gleicht es dem Prinzip der Computertomographie, sodass eine 3D-Rekonstruktion des Patienten ermöglicht wird.

In der nuklearmedizinischen Diagnostik ist der Patient selbst die Strahlenquelle. Mithilfe einer Gammakamera, in der Regel ein NaI-Detektor, wird die vom Patienten ausgehende Strahlung gemessen. Das Resultat ist eine zweidimensionale Aktivitätsverteilung des Patienten. Diese zweidimensionale Bildgebung wird Szintigraphie und das entstehende Bild Szintigramm genannt. In dem oben dargestellten Beispiel könnte man so den zeitlichen Verlauf der Nierenanreicherung darstellen und würde Informationen über die Nierenfunktion erhalten. Morphologische Veränderungen, wie beispielsweise Verkalkungen, könnte man nicht direkt nachweisen. Auch diese Anordnung kann um den Patienten rotiert werden, um eine dreidimensionale Rekonstruktion der Aktivitätsverteilung zu ermöglichen. Man spricht dabei von einer SPECT („Single Photon Emissions Computer Tomographie“). Neben der Szintigraphie und der SPECT gibt es noch eine dritte Bildgebungsmethode in der Nuklearmedizin: die PET („Positron Emissions Tomographie“). Die PET wird aufgrund der Komplexität des Verfahrens in einem separaten Artikel ausführlicher beschrieben.

Sowohl die SPECT als auch die PET haben aber aufgrund der fehlenden morphologischen Informationen das Problem der fehlenden Orientierung auf den entstehenden Bildern. Im Falle der Nieren oder der Lunge ist dies aufgrund der eindeutigen Lagebeziehung von sekundärer Bedeutung. Bei anderen Anwendungen, wie beispielsweise dem Tumor-Staging oder dem Auffinden von Wächterlymphknoten, ist dies jedoch unverzichtbar für eine aussagekräftige Diagnostik. Für diese Fragestellungen gibt es SPECT- bzw. PET-Systeme, die zusätzlich über ein Low-Dose CT verfügen. Somit kann während der Untersuchung eine Computertomographie durchgeführt und direkt mit den SPECT bzw. PET Daten überlagert werden. Diese multimodalen Systeme werden dann SPECT-CT bzw. PET-CT genannt.

Tracer-Prinzip

Da die nuklearmedizinische Bildgebung zuvor festgelegte Fragestellungen beantworten soll, ist es von großer Bedeutung, dass das applizierte Radionuklid von den gewünschten Zellen/Organen verstoffwechselt wird bzw. dem zur Fragestellung passenden Weg durch den Organismus folgt.

Zu diesem Zweck bedient man sich in der Nuklearmedizin dem „Tracer-Prinzip“. Dabei wird das signalemittierende Radionuklid der Wahl über eine kovalente Bindung, den Spacer, an ein biologisches Tracermolekül (Ligand) mit für die Fragestellung geeigneten pharmakogenetischen Eigenschaften gebunden. Der gewählte Tracer folgt einem bekannten Weg im Organismus und liefert das Radionuklid an das gewünschte Ziel (Zellmembran, Antigen, Enzym, Rezeptor, Transportsystem, RNA usw.). Die Verbindung aus Radionuklid, Spacer und Tracer wird Radiopharmakon genannt.

tracer-prinzp

Nuklideigenschaften

Das bei der Bildgebung verwendete Nuklid muss im Wesentlichen die folgenden drei Eigenschaften mitbringen:

Für die Bildgebung wird Photonenstrahlung benötigt, die außerhalb des Körpers mithilfe von Detektoren messbar ist. Bei der Szintigraphie und SPECT werden deshalb Gammastrahler eingesetzt. Bei der PET werden β+-Strahler verwendet, bei denen die detektierbare Photonenstrahlung durch die Vernichtungsstrahlung durch die Wechselwirkung zwischen den emittierten Positronen und den im Körper vorhandenen Elektronen gegeben ist.

Die Photonenenergie muss groß genug sein, um möglichst wechselwirkungsfrei den menschlichen Körper zu verlassen. Optimal sind Emissionsenergien von > 100 keV, da die Auftrittswahrscheinlichkeit des Photoeffekts bzw. der Vernichtung der Photonen bei höheren Energien abnimmt. Gleichzeitig muss die Photonenenergie aber klein genug sein, um sie mit praktikablen Messmitteln noch detektieren zu können. Höhere Energien bedingen auch immer größere Detektoren und stärkere Kollimatoren. Bei der Szintigraphie und der SPECT besitzt das am häufigsten verwendete Nuklid, Tc-99m, eine Emissionsenergie von 140 keV. Bei der PET ist die Emissionsenergie durch den Ursprung der Strahlung mit 511 keV festgelegt (Ruheenergie eines Elektrons bzw. Positrons).

Die Halbwertszeit des verwendeten Nuklids sollte aus Gründen der Praktikabilität und des Strahlenschutzes in der Größenordnung der Untersuchungsdauer liegen. Ist die Halbwertszeit zu kurz (bspw. wenige Sekunden) geht bereits in der Zeit zwischen Herstellung des Radiopharmakons und Bildgebung zu viel Aktivität verloren. Ist die Halbwertszeit zu lang (Monate oder Jahre) führt dies zu einer erhöhten Strahlenbelastung für Patient und Bevölkerung. Zudem wäre die Entsorgung von Abfällen und die Beseitigung von Kontaminationen so unmöglich. Das bei der Szintigraphie und SPECT häufig verwendete Tc-99m hat eine Halbwertszeit von 6 Stunden. Wird das Nuklid in einem hauseigenen Zyklotron hergestellt, wie bei einigen PET-Nukliden üblich, sind auch Halbwertszeiten im zweistelligen Minutenbereich praktikabel.

Anwendungen

Im Folgenden erhaltet ihr eine kompakte Übersicht über einige diagnostische Anwendungen in der Nuklearmedizin. Die Auflistung ist selbstverständlich nicht abschließend und wird laufend ergänzt. Nähere Informationen zu den einzelnen Anwendungen erhaltet ihr, wenn vorhanden, in den entsprechenden Artikeln.

Lungenszintigraphie

Die Lungenszintigraphie ist ein Verfahren zur Darstellung der Lungenfunktion. Dabei kann entweder die Ventilation oder die Perfusion, also die Durchblutung, der Lungen untersucht werden.

Zur Untersuchung der Lungenventilation wird ein gasförmiges Radiopharmakon, wie beispielsweise Technegas, verwendet. Bei Technegas handelt es sich um ein Aerosol aus Tc-99m markierten Kohlenstoff-Mikropartikeln. Das Aerosol wird hergestellt, indem Natriumpertechnetat auf einem Graphit-Tiegel in Gegenwart von ultrareinem Argon auf 2550°C erwärmt wird. Dieses atmet der Patient anschließend ein und die Ventilation kann mittels SPECT dargestellt werden.

Zur Untersuchung der Lungenperfusion wird mit Tc-99m markiertes makroaggregiertes Albumin (MAA) intravenös appliziert. Bei MAA handelt es sich um ein globuläres Protein mit einem Durchmesser von < 150 µm. Das MAA führt zu einem temporären Verschluss der Lungenkapillaren, sodass die Lungenperfusion durch eine SPECT sichtbar gemacht werden kann.

Indiziert ist die Untersuchung beispielsweise zur Vorhersage einer postoperativen Lungenfunktion (beispielsweise bei bevorstehender Teilresektion) oder zum Ausschluss einer akuten Lungenarterienembolie (LAE). Zur Abklärung einer LAE werden die Bilder der Lungenventilation mit denen der Lungenperfusion verglichen. Ist ein Perfusionsausfall sichtbar, der sich noch nicht in der Ventilation abzeichnet, ist dies ein Indiz für eine akute Lungenarterienembolie (siehe nachstehendes Beispiel).

lae lungenventilation
Missmatch-Befund bei LAE. Perfusion links, Ventilation rechts.

Nierenszintigraphie

Bei der Nierenszintigraphie erfolgt eine intravenöse Injektion von Tc-99m-Mercaptoacetyltriglycin (MAG3). Bei der anschließenden dynamischen Szintigraphie wird über mehrere Minuten der zeitliche Verlauf der Countrate über den Nieren quantitativ erfasst (siehe Film rechts). Zusätzlich kann die Nieren-Clearance durch Aktivitätsbestimmung von Blutproben, die zu zwei verschiedenen Zeitpunkten (beispielsweise 20 min und 40 min nach Applikation) entnommen wurden, bestimmt werden.

Ziel ist die quantitative Untersuchung der Nierenfunktion bei verschiedenen Nierenerkrankungen und Traumata.

Das nebenstehende Video zeigt den Verlauf des Radiopharmakons im Zeitraffer. Nach der linksseitigen Applikation erfolgt eine langsame Anreicherung der Nieren gefolgt von der Ausscheidung über die Blase. Die Aufnahmedauer betrug 40 Minuten.

Sentinel-Lymphknoten (SLN)-Szintigraphie

Die SLN-Szintigraphie dient der Auffindung von Wächterlymphknoten. Als Wächterlymphknoten werden die Lymphknoten bezeichnet, die in der Versorgungskette einer Tumorregion an erster Stelle stehen. Gelingt es den oder die Wächterlymphknoten gezielt zu entfernen und auf einen Tumorbefall zu untersuchen, kann bei einem negativen Befund die sonst übliche totale Lymphadenektomie der Region und die damit verbundenen Nebenwirkungen umgangen werden.

Zur Identifikation der Wächterlymphknoten werden mit Tc-99m markierte Kolloide (Teilchengröße ca. 20 – 100 nm) in die Tumorregion injiziert. Anschließend erfolgt eine dynamische Szintigraphie über mehrere Minuten und gegebenenfalls eine SPECT-CT einige Stunden nach Injektion. Die sich darstellenden Lymphknoten (in der Abbildung rechts zwei in der Leistenregion) werden auf der Haut markiert. An dieser Stelle beginnt der Chirurg mit dem Eingriff und sondiert mit einer mobilen Gammasonde die Region intraoperativ, sodass er den oder die anreichernden Lymphknoten gezielt entfernen kann. Ergibt sich in der Pathologie ein negativer Befund erübrigt sich die Resektion weiterer Lymphknoten.

Typische Indikationen sind Melanome, Mamma-Ca, Vulva-Ca, Prostata-Ca sowie HNO-Tumore.

SLN SPECT-CT drei Stunden nach Injektion
SLN SPECT-CT 3 Stunden nach Injektion. Es stellen sich zwei SLN in der Leistenregion dar

Skelettszintigraphie

Bei der Skelettszintigraphie werden mit Tc-99m markierte Phosphonate und Phosphate zur Untersuchung des Knochenstoffwechsels appliziert. Verfügbare Pharmaka sind Methylendiphosphonat (MDP), Pyrophosphat (PYP), Diphosphono-Propandicarbonsäure (DPD) und Oxydronat/Hydroxyethylendiphosphonat (HDP). Die Aufnahme erfolgt in zwei Phasen: Die erste Phase ist die Blutpoolphase und sollte circa zwei bis zehn Minuten nach Applikation aufgezeichnet werden. Hier stellen sich in erster Linie die Weichteile dar. Zwei bis fünf Stunden nach Applikation ist die Knochenanreicherung abgeschlossen und es erfolgt die Spätphase zur Darstellung der Knochen.

Typische Indikationen sind die Abklärung entzündlicher Knochen- und Weichteilveränderungen (benigne) und das Tumor-Staging (maligne).

skelettszintigraphie
Früh- und Spätaufnahme bei der Skelettszintigraphie. Darstellung der Weichteile links (6 Minuten nach Applikation) und der Knochen rechts (3 Stunden nach Applikation).

Hirnszintigraphie

Mithilfe eines mit I-123 markierten Kokain-Analogons (DaTSCAN) und anschließender dynamischer Szintigraphie kann ein Verlusts funktionsfähiger dopaminerger Neuronenendigungen im Striatum ermittelt werden. Dies ermöglicht die Differenzierung von neuro-degenerativen und nicht-neurodegenerativen Parkinson- und Tremor-Syndromen.

datscan
DaTSCAN bei beginnendem linksseitigem Parkinson. Die SPECT zeigt eine leicht verminderte Anreicherung linksseitig.

Unter Vewendung von Tc99m-Hexamethyl-propyleneamineoxime (HMPAO) kann zudem die Hirnperfusion dargestellt werden. 

Schilddrüsenszintigraphie

Bei der Schilddrüsenszintigraphie handelt es sich um eine quantitative Darstellung der Schilddrüsenaktivität. Dazu wird entweder Tc-99m-Pertechnetat oder I-123-Natriumiodid intravenös verabreicht, wobei ersteres aufgrund der kurzen Untersuchungszeit und der geringeren Kosten weitaus geläufiger ist. Wenn es um gesonderte Fragestellungen, wie der Erkennbarkeit von retrosternalem Schilddrüsengewebe geht, ist I-123-Natriumiodid jedoch eindeutig vorzuziehen. Das Tc-99m-Pertechnetat reichert nach intravenöser Applikation rasch im Schilddrüsengewebe an, verlässt es aber wegen fehlender Organifizierung ebenso schnell wieder. Aus diesem Grund ergibt sich für die Aufnahme mit Tc-99m-Pertechnetat ein relativ enges Zeitfenster von 5 bis 25 Minuten nach Injektion

Typische Indikationen sind die Darstellung der Schilddrüsenaktivität bei Herdbefunden, Verdacht auf Autonomien und/oder Überfunktionen sowie die Therapiekontrolle.

Diagnostische Referenzwerte

Im Gegensatz zur Röntgendiagnostik sind es in der Nuklearmedizin weniger die Geräteeinstellungen, die für die Bildqualität entscheidend sind, sondern vielmehr die applizierte Aktivität.

Welche Aktivität benötigt wird, um diagnostisch aussagekräftige Bilder zu erhalten ist von vielen Faktoren abhängig, wie der angestrebten Fragestellung, dem verwendeten Radiopharmakon, der Detektoreffizienz, der angestrebten Aufnahmezeit uvm. Grundsätzlich ist es in der Nuklearmedizin immer möglich die Bildstatistik durch längere Aufnahmezeiten zu verbessern, sofern sich die Zählrate über der Untersuchungsregion ausreichend vom umliegenden Gewebe abhebt.

Zur deutschlandweiten Standardisierung der Applikationsaktivitäten und der damit verbundenen Strahlenexposition der Patienten veröffentlicht das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) diagnostische Referenzwerte (DRW), die in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden. Die DRW geben sowohl die zu applizierende Aktivität für häufig verwendete Radiopharmaka, als auch Werte für den CTDIvol bei Hybriduntersuchungen vor. Die Vorgaben basieren auf dem 75. Perzentil einer deutschlandweiten Erhebung verschiedener Anwender und sind dementsprechend nicht als Optimalwerte zu interpretieren. Abweichungen nach oben können notwendig und Abweichungen nach unten sinnvoll sein. Beides muss begründet werden. Ein gutes Beispiel für eine begründete Unterschreitung des DRW ist die Publikation Individual calculation of perfusion activity based on ventilation efficiency for V/P-SPECT. Hier wurde gezeigt, dass bei der Lungenszintigraphie zur Abklärung einer LAE die individuelle Berechnung der Applikationsaktivität sowohl zu einer leitlinienkonformen Bildqualität führt als auch dosissparend sein kann.

Verwendete Nuklide

In der folgenden Tabelle werden einige, in der Diagnostik eingesetzte, Nuklide und deren Eigenschaften aufgeführt. Die Liste ist nicht abschließend und wird weiter ergänzt:

Nuklid Zerfallsart Halbwertszeit Bildgebung Verw. γ-Energie
Tc-99m
IT*
6 h
Szintigraphie + SPECT
140 keV
I-123
EC** + β+
13,2 h
Szintigraphie + SPECT
159 keV
In-111
EC**
2,8 d
Szintigraphie + SPECT
171 keV + 245 keV
Tl-201
EC**
3,04 d
Szintigraphie + SPECT
167 keV
Ga-68
EC**+ β+
67,7 min
PET
511 keV
F-18
EC**+ β+
109,8 min
PET
511 keV
O-15
EC**+ β+
122,1 s
PET
511 keV
C-11
EC**+ β+
20,4 min
PET
511 keV

*IT = Isomerieübergang; **EC = Elektroneneinfang

Die nuklearmedizinische Therapie wird auch als Radionuklidtherapie oder molekulare Strahlentherapie bezeichnet. Das Prinzip ähnelt stark der Diagnostik. Auch hier werden Radionuklide an Tracer gebunden und anschließend dem Patienten appliziert. Ziel der Radionuklidtherapie ist aber nicht mehr die alleinige Darstellung von Stoffwechselprozessen, sondern die gezielte Zerstörung von pathologischem Gewebe.

Die primären Unterschiede der Radionuklidtherapie zur Teletherapie mit Photonen sind die verwendete Strahlungsqualität und die Dosisleistung. Da das Radionuklid mithilfe des Tracers direkt an das kranke Gewebe gebunden werden kann, werden Strahlenarten mit sehr kurzer Reichweite verwendet, um eine Dosiseskalation im kranken und eine optimale Schonung des gesunden Gewebes zu erreichen. Die Dosisabgabe erfolgt nicht wie in der Teletherapie in wenigen Minuten, sondern entsprechend der Halbwertszeit über mehrere Stunden und Tage. Verglichen mit der Teletherapie führt dies zu einer geringeren Dosisleistung und biologisch effektiven Dosis. Daraus resultieren bei der Radionuklidtherapie höhere Zieldosen.

Nuklideigenschaften

Genau wie in der Diagnostik werden bei der Radionuklidtherapie bestimmte Anforderungen an die Eigenschaften der verwendeten Nuklide gestellt:

Da bei der Radionuklidtherapie eine lokale Dosisedeposition im Vordergrund steht, werden in erster Linie β– und α-Strahler eingesetzt. Nach dem Zerfall liegt das Tochternuklid häufig in einem angeregten Zustand vor, sodass es zudem zur Emission von γ-Strahlung kommen kann. Liegt die Emissionsenergie der γ-Strahlung in einem für die Bildgebung brauchbaren Bereich, kann so auch eine Bildgebung unter Therapie erfolgen (beispielsweise zur Therapiekontrolle und Dosimetrie). Diese Radiopharmaka werden auch als Theranostika bezeichnet (beispielsweise I-131 und Lu-177).

Die Emissionsenergie des gewählten Nuklids sollte hoch genug für eine entsprechende Dosiseskalation sein. Gleichzeitig sollte sie, insbesondere bei β-Strahlern, klein genug sein, um das umliegende Gewebe bestmöglich zu schonen. Für die Reichweite R von β-Strahlern in Gewebe gibt es folgende Faustformel:

\frac{E_{\text{β}} \, \text{in MeV}}{2} = R_{\text{Gewebe}} \, \text{in cm}

Üblich sind mittlere β-Energien zwischen 100 keV und 1 MeV.

Die Anforderungen an die Halbwertszeit ähneln denen der in der Diagnostik eingesetzten Nuklide, wobei hier sehr kurze Halbwertszeiten aufgrund der notwendigen Lieferketten vermieden werden. Sehr lange Halbwertszeiten sind wiederum aufgrund von Strahlenschutzaspekten unerwünscht, sodass die verwendeten Halbwertszeiten üblicherweise in der Größenordnung mehrerer Tage liegen.

Radionuklidtherapien

An dieser Stelle möchten wir euch häufig durchgeführte Radionuklidtherapien und die dabei verwendeten Nuklide kurz vorstellen. Nähere Informationen zu den Therapien erhaltet ihr in den entsprechenden Artikeln, sofern bereits vorhanden.

Radioiodtherapie

Bei der Radioiodtherapie wird I-131 Natriumiodid in Form einer Kapsel oral appliziert. I-131 zerfällt mit einer Halbwertszeit von 8,02 Tagen über den β Zerfall in das stabile Xe-131. Das I-131 wird von den aktiven Schilddrüsenzellen aufgenommen und durch die emittierte β-Strahlung effektiv geschwächt. Da das Xe-131 unmittelbar nach dem Zerfall in einem angeregten Zustand vorliegt, kommt es zudem zur Emission von γ-Strahlung. Die häufigste Emissionsenergie von 364 keV ist für die Bildgebung verwendbar, sodass es sich bei I-131 um ein Theranostikum handelt. Dies ermöglicht eine Kontrolle des anreichernden Gewebes und der Dosimetrie während der Therapie.

i 131 zerfallsschema
I-131 Zerfallsschema

Die auftretende γ-Strahlung sowie die vermehrte Ausscheidung von nicht angereichertem sowie bereits verstoffwechseltem I-131 macht eine stationäre Durchführung der Therapie notwendig, um Betreuungspersonal und Familienmitglieder keiner erhöhten Strahlung auszusetzen. Maßgeblich ist hierbei der Jahresgrenzwert für die Bevölkerung von 1 mSv/a.

Typische Indikationen sind das differenzierte Schilddrüsen-Ca und benigne Erkrankungen mit erhöhter Schilddrüsenaktivität, wie manifeste sowie latente Hyperthyreose bei Autonomie und Basedow, Struma und Rezidivstruma. Angestrebte Herddosen liegen je nach Erkrankung zwischen 120 und 400 Gy. Die dabei applizierten Aktivitäten reichen je nach Stoffwechsel von ca. 100 bis 1 500 MBq (benigne) und 3 000 bis 12 000 MBq (maligne).

Die nachstehende Abbildung zeigt zwei Schilddrüsenszintigramme desselben Patienten. Links mit fokaler Autonomie vor der Therapie und rechts mit regelhafter Anreicherung nach Therapie.

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Fokale Autonomie vor RIT (li) und euthyreote Schilddrüse nach Therapie (re).

SIRT (Selektive Interne Radiotherapie)

Bei der SIRT handelt es sich um eine Radionuklidtherapie zur Behandlung von Lebertumoren. Dazu werden mit Y-90 beladene Sphären (Durchmesser ca. 20 – 60 µm) aus Glas oder Resin (je nach Hersteller) unter Durchleuchtung in den arteriellen Gefäßbaum des Tumors appliziert. Das Y-90 zerfällt dort mit einer Halbwertszeit von 2,67 Tagen über den β Zerfall in das stabile Zr-90 und wirkt dort auf zweifache Weise: Zum einen wird der Tumor durch die β-Strahlung gezielt geschwächt und zum anderen führt die durch die Sphären hervorgerufene Embolisation des Gefäßbaums zu einem Aushungern des Tumors. Dabei wird sich die Physiologie des Tumors zunutze gemacht, der im Gegensatz zum gesunden Lebergewebe fast ausschließlich arteriell versorgt wird. Durch die lokale Applikation des Radiopharmakons kann eine Dosiseskalation im Tumor erzielt werden, ohne dass umliegende, venös versorgte, Lebergewebe zu zerstören.

y 90 zerfallsschema
Y-90 Zerfallsschema

γ-Strahlung wird beim Zerfall von Y-90 nicht emittiert, sodass eine Therapiekontrolle nur durch Aufnahme einer Bremsstrahlung-SPECT erfolgen kann. Die vom Patienten ausgehende Strahlung ist dementsprechend vergleichsweise gering und auch Ausscheidungen des Radiopharmakons sind im Regelfall nicht zu erwarten.

Typische Indikation sind die Behandlung von Lebermetastasen mit dem Ziel des Downstagings, Bridgings oder einer Radio-Segmentektomie bei einseitigem Befall. Angestrebte Herddosen liegen bei ca. 100 – 150 Gy.

Die nachfolgende Abbildung zeigt ein Patientenbeispiel mit einem gut abgrenzbaren Tumor im linken Lebersegment vor Therapie (li.) und dem zerstörten Tumor, sichtbar als nekrotischer Schatten, nach Therapie (re.). 

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Manifester Tumor im linken Leberlappen vor Therapie (li) und nekrotischer Schatten nach Therapie (re).

Ra-223 Schmerztherapie (XOFIGO)

Die Ra-223 Schmerztherapie ist eine palliative Behandlung von Patienten mit kastrationsresistentem Prostata-Ca und symptomatischen Knochenmetastasen. Es erfolgt eine ambulante, intravenöse Applikation von Ra-223-dichlorid. Je nach Ansprechen und Patientenbefinden wird die Applikation bis zu sechsmal wiederholt. Die Pause zwischen zwei Applikationen beträgt vier Wochen. Nach Injektion reichert das Ra-223-dichlorid selektiv in stoffwechselaktivem Knochengewebe an und führt so im Optimalfall zu einer Reduktion der Metastasen und somit auch der Schmerzen. Das Ra-223 zerfällt über eine sechsstufige Zefallskette von α- und β-Strahlern in das stabile Pb-207. Die kurzen Halbwertszeiten der Zwischenprodukte führt jedoch dazu, dass sich nach Abtrennung schnell ein Sekundärgleichgewicht einstellt, dessen Aktivität sich mit der Halbwertszeit von Ra-223 (11,4 Tage) reduziert. Im Gleichgewicht betragen die Anteile der emittierten Zerfallsenergien:

ra 223 zerfallskette
Ra-223 Zerfallskette
  • α: 95,3 % (5,0 – 7,5 MeV)
  • β: 3,6 % (0,45 – 0,49 MeV)
  • γ: 1,1 % (0,01 – 1,3 MeV)

Die Berechnung der Applikationsaktivität erfolgt aktuell noch gewichtsbezogen und beträgt 55 kBq/kg. Die in Deutschland verfügbare gebrauchsfertige Lösung ist unter dem Namen XOFIGO (Fa. Bayer) bekannt.

Therapie mit Lu-177

Bei den zugelassenen  Radioligandentherapien (RLT) Lutathera und Pluvicto (Fa. Novartis) wird der β-Strahler Lu-177 als Radionuklid eingesetzt. Das Lu-177 zerfällt über β Zerfall in das stabile Hf-177. Dabei kommt es in ca. 20% der Fälle zu einer Folgeemission von γ-strahlung, die für die Bildgebung und Dosimetrie genutzt werden kann (208 und 110 keV). Folglich handelt es sich bei Lu-177 um ein Theranostikum. Das Lu-177 wird über einen Komplexbildner (1,4,7,10-Tetraazacyclododecan-1,4,7,10-tetraessigsäure, genannt DOTA) an ein [Tyr3]Octreotid-Analogon (genannt TATE) gebunden.

lu 177 zerfallsschema
Lu-177 Zerfallsschema
Lutathera

Lutathera kommt zur Behandlung von nicht resezierbare oder metastatisch, progressive, gut differenzierte (G1 und G2) somatostatinrezeptorpositive gastroenteropankreatische neuroendokrine Tumore (GEP-NETs) zum Einsatz.

Das Lu-177 wird über einen Komplexbildner (1,4,7,10-Tetraazacyclododecan-1,4,7,10-tetraessigsäure, genannt DOTA) an ein [Tyr3]Octreotid-Analogon (genannt TATE) gebunden. Bei Octreotid handelt es sich um ein synthetisches Analogon des Peptidhormons Somatostatin, das schließlich an die Somatostatinrezeptoren des Tumors bindet. Die Anwendung wird deshalb auch Peptid-Rezeptor-Radionuklid-Therapie (PRRT) genannt.

Das Radiopharmakon (auch 177Lu-DOTATATE genannt) kann dabei von einer hausinternen Radiochemie hergestellt oder als gebrauchsfertige Injektionslösung erworben werden (Lutathera).

Aktuell erfolgt noch eine intravenöse Standardapplikation von 7,4 GBq. Die Applikation kann bis zu viermal wiederholt werden. Die Pause zwischen zwei Applikationen beträgt dabei acht Wochen.

Pluvicto

Bei Pluvicto handelt es sich um ein zugelassenes Fertigarzneimittel der Firma Novartis Pharma Gmbh zur Durchführung der Radioligandentherapie (RLT) mit 177Lu-PSMA-617 beim progredienten Prostataspezifischen-Membranantigen-(PSMA-)positiven, metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC).

Die Injektionslösung enthält als Wirkstoff (177Lu) Lutetiumvipivotidtetraxetan (177Lu-PSMA-617). 177Lu-PSMA-617 gehört zu den Radiologanden-Therapeutika. Über eine DOTA (1,4,7,10-Tetraazacyclododecan-1,4,7,10-tetraessigsäure)-Chelator-Verbindung wird das therapeutisch wirksame Radionuklid Lu-177 durch Komplexisierung gebunden. Mit dem anderen Ende bindet PSMA-617 an das prostataspezifische Membranantigen (PSMA), das von den Zellen eines Prostatakarzinoms exprimiert wird. Dies ermöglicht eine lokale Bestrahlung der Tumorzellen mit dem β-γ-Strahler Lu-177.

Verteilung der Radionuklidtherapien

Die nachstehende Abbildung zeigt das Ergebnis einer europaweit durchgeführten Studie der EANM (European Association of Nuclear Medicine) zur relativen Verteilung der Radionuklidtherapien. Es ist deutlich erkennbar, dass die Radioiodtherapien nach wie vor die am häufigsten vertretene Therapieform ist. Aufgrund guter Evidenzen und steigender Verfügbarkeit steigen aber zunehmend auch die Anteile der anderen Therapieformen.

Links

FAQ

In der Nuklearmedizin erhalten Patienten radioaktiv markierte Pharmazeutika, die sog. Radiopharmaka. Abhängig vom verwendeten Radiopharmakon können so Krankheiten diagnostiziert oder sogar therapiert werden.

In der konventionellen Röntgendiagnostik erfolgt eine morphologische Bildgebung mithilfe einer externen Strahlenquelle. In der Nuklearmedizin werden Stoffwechselprozesse mithilfe von radioaktiven Substanzen dargestellt. Man spricht von einer „funktionellen“ Bildgebung.

Die vom Patienten ausgehende Strahlung kann, je nach verwendetem Radiopharmakon, noch bis zu drei Tagen messbar sein. Eine Gefährdung für andere Personen stellen Patienten jedoch i.d.R. nicht dar. Anders ist dies bei therapeutischen Verfahren, die aus Strahlenschutzgründen stationär durchgeführt werden müssen.

Je nach Untersuchungsziel erhält der Patient ein Radiopharmakon intravenös, oral oder zum Einatmen. Anschließend erfolgen eine oder mehrere Aufnahmen mithilfe eines Gammadetektors. Die Gesamtdauer hängt stark von der Untersuchung ab.

Man unterscheidet in der Nuklearmedizin zwischen diagnostischen und therapeutischen Verfahren. Bei der Diagnostik kommen ausschließlich Gamma- und β+-Strahler und bei der Therapie ausschließlich α- und β-Strahler zum Einsatz.

Die Strahlenbelastung hängt von der Untersuchung ab. Typischerweise ist die Strahlenbelastung jedoch vergleichbar mit einer Röntgenaufnahme und häufig niedriger als bei einer Computertomographie.

Medizinphysiker nehmen in der Nuklearmedizin die Pflichten eines Strahlenschutzbeauftragten wahr. Dazu zählen Aufgaben wie die Optimierung der Arbeitsabläufe hinsichtlich des Strahlenschutzes, Berechnung der Therapieaktivitäten, Dosisberechnungen für Patienten und Personal, ggf. Aufziehen von Aktivitäten, Lagerung und Entsorgung radioaktiver Abfälle, Durchführung von Strahlenschutzunterweisungen, die Implementierung nuer Verfahren, die Qualitätssicherung der Geräte, wissenschaftliche Tätigkeiten u.v.m.

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