Wechselwirkung der Materie

Inhaltsverzeichnis

Wechselwirkungsprozesse von Photonenstrahlung

Treffen hochenergetische Photonen auf Materie können sechs unterschiedliche Wechselwirkungen auftreten, deren Auftrittswahrscheinlichkeiten \sigma von der Photonenenergie und Eigenschaften des Wechselwirkungsmaterial abhängen. Aus der Summe aller Wechselwirkungskoeffizienten ergibt sich der lineare Schwächungskoeffizient \mu, der im Lambert-Beerschen-Gesetz zur Berechnung der Abschwächung der Strahlungsintensität I(d) nach Durchlaufen der Materialdicke d genutzt wird

I(d) = I_0 \cdot \exp (-\mu\cdot d)

Wie bereits erwähnt, ist der Faktor \mu energie- und materialabhängig, weshalb das Gesetz in seiner einfachsten Form nur für monoenergetische Teilchen im homogen Medium angewandt werden darf.

Streuung

Bei der Streuung von Photonen wird zwischen kohärenter und inkohärenter Strahlung differenziert. Kohärenz bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Phasendifferenz zwischen der einfallenden und gestreuten Strahlung konstant ist.

Wird ein Photon gestreut, ändert es seine Richtung. Während bei niederenergetischen Photonen Streuungen ohne Energietransfer auftreten (Rayleigh- und Thomsonstreuung), übergibt das Photon bei der Compton-Streuung unter Richtungsänderung einen Teil seiner Energie an das Elektron.

Das Elektron verlässt das Atom bzw. das Atom wird ionisiert. Im Gegensatz zur Rayleighstreuung, bei der das Photon mit einem gebundenen Elektron oder dem Atomkern wechselwirkt, finden die Thomson- und Comptonstreuung an (quasi-)freien Elektronen statt. Die Thomsonstreuung stellt demnach den Grenzfall der Comptonstreuung bei niederenergetischen Photonen dar. Da für die Strahlendosis ein Energietransfer stattfinden muss ist der einzig relevante Prozess der Comptoneffekt. Für die Abhängigkeit des Wechselwirkungskoeffizienten der Compton-Streuung gilt für E_{Photon} = 0,2 – 10 MeV.

Compton-Effekt

\mu_\text{C} \varpropto \rho \cdot (Z / A) \cdot 1 / E_\gamma^n  \hspace{3cm} \text{, }n=0,5-1,0

Je höher die Photonenenergie, desto höher die Energie und der Anteil der vorwärtsgestreuten Sekundärelektronen. Aus dieser Tatsache resultiert der Dosisaufbaueffekt bei höherenergetischen Photonen wie er beim Linearbeschleuniger auftritt. In der Diagnostik oder der Röntgentherapie ist der Dosisaufbaueffekt zwar auch vorhanden, das Dosismaximum liegt aber (quasi) auf der Oberfläche. Die Erklärung ist simpel: Bei niedrigen Photonenenergien ist die Winkelverteilung der gestreuten Sekundärelektronen nicht mehr so dominant vorwärtsgerichtet, der Anteil der seit- und rückwärtsgestreuten Teilchen steigt und zudem nimmt die Teilchenreichweite mit sinkender Energie ab. Folglich wandert das Dosismaximum an die Oberfläche.

Photoeffekt

Übersteigt die Energie der Photonen E_\text{Ph} die Bindungsenergie eines Hüllenelektrons E_\text{B} , kann das Elektron ein Photon vollständig absorbieren und das Atom mit der Energie

E_\text{kin} = E_\text{Ph} – E_\text{B}

verlassen. Der Photoneffekt dominiert vor allem bei Materialien mit hoher Ordnungszahl und kleinen Photonenenergien, weshalb er insbesondere in der Röntgendiagnostik eine Rolle spielt. Hier werden geringere Energien um 100 keV unter Verwendung von dichten Materialien wie Blei oder Wolfram mithilfe des Photoeffekt abgeschirmt. Für den Absorptionskoeffizienten gilt

\mu_\text{Photo} \varpropto \rho \cdot (Z^n / A) \cdot 1 / E_\gamma^m  \hspace{3cm} \text{, }n=4,0-4,5

Der Wert für n ist für Materialien mit niedriger Ordnungszahl 4,5, bei schwereren Elementen entsprechend ungefähr 4,0 . m nimmt für Photonenenergien E_\text{Ph} \gg m_\text{e}c^2 den Wert 1 und für E_\text{Ph} \ll m_\text{e}c^2 den Wert 3 an.

Analog zum Photoeffekt an Hüllenelektronen kann es zum Kernphotoeffekt kommen, der jedoch aufgrund der höheren nukleonspezifischen Schwellenenergien kaum relevant ist in der Strahlentherapie.

Fast alle Ionisationen finden auf der K-Schale statt (ca. 80 %). Dem Photoeffekt kann sich die Erzeugung eines Auger-Elektrons als Folgeprozess anschließen, wodurch weitere Ionisationen oder Bremsstrahlung erzeugt werden kann. Wird z. B. ein Elektron aus K-Schale gelöst, wird das zurückbleibende Loch durch ein Elektron der darüberliegenden Schale (z. B. L-Schale) gefüllt. Bei diesem Prozess wird die Energiedifferenz der Bahnen in Form eines Photons frei, welches mittels Photoeffekt wiederum ein Elektron (Auger-Elektron) aus der Schale lösen kann.

Photoeffekt
Photoeffekt

Paarbildung

Ab einer Photonenenergie von E_\text{Ph} > 2m_\text{e}c^2 ist es möglich, dass im Coulombfeld des Atomkerns Elektron-Positron-Paare erzeugt werden, deren Bewegungsenergie sich aus E_\text{kin} = E_\gamma – 2m_\text{e}c^2 ergibt. Für die Abhängigkeit des Paarbildungskoeffizienten gilt

\mu_\text{Paar} \varpropto \rho \cdot  Z \cdot \log(E_\gamma) \hspace{2cm} \text{, }E_\gamma > 2m_\text{e}c^2

An jede Paarbildung schließt sich der Umkehrprozess die Erzeugung der sogenannten Annihilationsstrahlung, umgangssprachlich auch Vernichtungsstrahlung, an. Gemeint ist damit die Rekombination des Positrons mit einem Hüllenelektron, wobei zwei Gammaquanten mit je 511 keV in entgegengesetzte Richtung (180°) abgestrahlt werden. Darüber hinaus können bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen auch die Triplettbildung und die Paarbildung im Kernfeld eines Elektrons auftreten.

Paarbildung

Wechselwirkung von geladenen Teilchen

Beim Durchgang von geladenen Teilchen durch Materie können grundsätzlich vier verschiedene Arten von Wechselwirkungsprozessen beobachtet werden. Dies sind inelastische Stöße mit Hüllenelektronen (hierbei kann auch Čerenkovstrahlung entstehen), Erzeugung von Bremsstrahlung im Feld der Hüllenelektronen und des Kerns, elastische Streuung im Feld des Kerns und inelastische Wechselwirkung am Atomkern. Allgemein ist die Wechselwirkungsrate aufgrund der Ladung deutlich im Vergleich zu neutralen Teilchen wie Photonen oder Neutronen höher, weshalb die Reichweite geladener Teilchen immer begrenzt ist. Die meiste Energie wird bei den beiden erst genannten Wechselwirkungen (Hüllenelektronwechselwirkung & Bremsstrahlung) abgegeben. Um die Wirkung von Materie auf ein geladenes Teilchen zu beschreiben, wird das Bremsvermögen S benötigt. Dieses ist zusammengesetzt aus dem Stoß- S_\text{col} und dem Strahlungsbremsvermögen S_\text{rad} , benannt nach der Art mit der ein geladenes Teilchen seine Energie an das Material abgibt. Wird der Quotient zur Dichte des Absorbers S / \rho gebildet, so erhält man das Massenbremsvermögen. Das Stoßbremsvermögen basiert auf der Bethe-Bloch-Formel. Es beschreibt den Energieverlust eines geladenen Teilchens \text{d}E, den es beim Durchgang durch Materie der Dicke \text{d}x durch Stöße mit dem Atomkern bzw. den Hüllenelektronen des Absorbers erleidet. Je geringer die Restenergie des Teilchens in der Materie, desto höher ist die Energieabgabe. Die deponierte Dosis steigt also mit der Eindringtiefe. Die logische Konsequenz des Massenbremsvermögens ist die Ausbildung des sogenannten Bragg-Peaks, der insbesondere in der Schwerionentherapie eine Rolle spielt.

Elektronen

Passiert ein Elektron in kurzer Distanz zu einem Atomkern oder einem Hüllenelektron deren Coulombfeld, so erfährt es aufgrund der elektromagnetischen Wechselwirkung eine kurze starke Radialbeschleunigung. Als Folge davon werden Photonen ausgesendet. Je geringer der Abstand zwischen dem Elektron und dem Atomkern bzw. dem Hüllenelektron, desto mehr Photonen werden ausgesendet. Das Elektron verliert dabei einen Teil seiner Energie. Die freiwerdende Strahlung wird Bremsstrahlung genannt. Auf diesem Effekt basiert die Erzeugung von Röntgenstrahlung.

Schwere Teilchen

Der Energieverlust pro Wegstrecke der schweren Teilchen wird analog mithilfe der Bethe-Bloch-Gleichung angegeben. Die Formel lautet

S_\text{col} = (d\text{E} / d\text{x})_\text{col} = \rho \cdot 4\pi r_e^2\cdot m_0c^2\cdot \frac{Z}{u\cdot A}\cdot z^2 \cdot \frac{1}{\beta^2}\cdot R_\text{col}(\beta)

Hierbei beschreibt \rho die Dichte des Absorbers, r_e den klassischen Elektronenradius, m_0c^2 die Ruheenergie, Z die Ordnungszahl des Absorbers, u die atomare Masseneinheit, A die Massenzahl des Absorbers, z die Ladung des Teilchens, \beta das relativistische Geschwindigkeitsverhältnis und R_\text{col} eine Restfunktion, die zusätzliche Abhängigkeiten berücksichtigt.

Die Teilchen werden aufgrund ihrer Masse nur sehr schwach abgelenkt, weshalb die Bahnlänge nahezu mit der Reichweite überstimmt und die Dosisverteilung in der Materie sehr scharf definiert ist. Größere Ablenkungen erfahren die Teilchen bei selteneren inelastischen Streuungen (Anregungen) und Kernreaktionen, bei denen Nukleonen aus dem Kern geschossen werden. Je langsamer das Teilchen wird desto höher ist die abgegebene Energie pro zurückgelegte Wegstrecke. Dieses Phänomen führt zu einer enormen Dosisdeposition am Ende der Tiefendosiskurve (Bragg-Peak) und wird insbesondere in der Partikeltherapie zur Schonung von Normalgewebe genutzt.

Čerenkov-Effekt

Der Čerenkov-Effekt beschreibt die Emission von Photonenstrahlung aufgrund geladener Teilchen, die sich in einem Medium schneller als die dort geltende Lichtgeschwindigkeit bewegen. Dieses Licht wird auch Čerenkovstrahlung genannt. Bei diesem Effekt bildet sich eine Wellenfront des Lichts aus, die einen zur Teilchenbahn symmetrischen Kegelmantel besitzt, in dessen Spitze das Teilchen sitzt.

Nach oben scrollen
Zum Medizinphysik-Newsletter anmelden

Keine Infos rund um das Thema Medizinphysik mehr verpassen!
Erhalte Informationen zu rechtlichen Änderungen, relevanten DIN-Normen & neuen Artikeln auf unserer Seite. Melde Dich an und bleibe mit unserem Newsletter immer auf dem aktuellen Stand.

Datenschutz *