Augenlinsendosimetrie

Hier findest du alle Informationen zur Augenlinsendosimetrie. Gründe für die aktuelle Präsenz im Berufsalltag des Medizinphysik-Experten und einen Leitfaden zur Durchführung der Dosimetrie.

Inhaltsverzeichnis

Grundlage

Im Zuge der Novellierung des neuen Strahlenschutzgesetzes wurde der Grenzwert für die Augenlinsendosis bei beruflich exponiertem Personal von 150 msV/a auf 20 mSv/a, gemittelt über fünf Jahre, wobei in keinem Jahr eine Dosis von 50 mSv pro Kalenderjahr überschritten werden darf, reduziert.

Der Hintergrund für diese Maßnahme ist die Vermutung, dass die Augenlinse strahlensensibler ist als bisher angenommen. In der ICRP Publikation 118 (ICRP Statement on Tissue Reactions / Early and Late Effects of Radiation in Normals Tissues and Organs – Threshold Doses for Tissue Reactions in a Radiation Protection Context, 2012) wurden die jüngsten epidemiologischen Erkenntnisse veröffentlicht. Das Resultat zeigt, dass deterministische Schäden insbesondere Katerakte und Durchblutungsstörungen bereits bei niedrigeren Dosiswerten als bislang angenommen, auftreten. Die EURATOM (Europäische Atomgemeinschaft) ist der Empfehlung der ICRP (International Comission of Radiological Protection) gefolgt, weshalb der Grenzwert für die Bildung eines Strahlenkatarakts zukünftig mit 0,5 Gy angenommen wird. Die EURATOM-Richtlinie 2013/59 wurde in Deutschland am 31.12.2018 in nationales Recht umgesetzt. § 78 (2) StrSchG: „Der Grenzwert der Organ-Äquivalentdosis beträgt für beruflich exponierte Personen für die Augenlinse 20 Millisievert im Kalender“ und § 78 (3) StrSchG „Für beruflich exponierte Personen unter 18 Jahren beträgt […] der Grenzwert der Organ-Äquivalentdosis […] für die Augenlinsendosis 15 Millisievert im Kalenderjahr“

Die ICRP hat eine lesenswerte Publikation zur Entwicklung der Grenzwerte, den Sicherheitsnormen und Leitlinien verfasst (Dose Limits of the lens of the eye: International Basic Safety Standards and related guidance, 2013), in der viele Informationen zu finden sind. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat einen Auftrag beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zur Untersuchung zur Strahlenexposition der Augenlinsen von beruflich strahlenexponiertem Personal (Vorhaben 3613S40011) eingereicht. Der Abschlussbericht von 2017 ist auf der Seite des BfS im DORIS zu finden.

Im 43. Band der der Strahlenschutzkommission wurde die Berechnungsgrundlage für die Ermittlung von Körper-Äquivalentdosen bei äußerer Strahlenexposition veröffentlicht. Die Augenlinse liegt in einer Tiefe von 2-4 Millimetern. Die Empfindlichkeit der Augenlinse resultiert aus der Strahlensensibilität der vorderen Augenlinsenwand, weshalb die Messgröße HP(3) verwendet wird. Folglich sind für die Exposition der Augenlinse hauptsächlich die Elektronenstrahlung (> 0,7 MeV) und die niederenergetische Photonenstrahlung (< 150 keV) relevant. Beide Strahlenarten besitzen nur eine geringe Eindringtiefe, die jedoch ausreichend ist, um bis zur empfindlichen Augenlinsenwand durchzudringen. Die Reichweite von typischen Alphastrahlern liegt nur bei ca. 0,1 mm und ist daher nicht relevant für den Strahlenschutz.

Bis zur Entwicklung geeigneter Dosimeter (Stand 2019), dürfen unter gewissen Umständen übergangsweise Fingerringdosimeter mit der Messgröße HP(0,07) verwendet werden. Die Messgröße HP(0,07) ist geeignet, sofern die Exposition ausschließlich aus Photonenstrahlung resultiert. Ab einer Photonenenergie > 40 keV ist auch die Messgröße HP(10) zu konservativen Dosisabschätzung geeignet. Für Elektronenstrahlung ist ausschließlich die Messgröße HP(3) geeignet. Bei Verwendung eines HP(0,07)-Dosimeters können Überschätzungen von bis zu einem Faktor von 5000 auftreten. Als vorrübergehende Alternative ist eine Verwendung von modifizierten HP(0,07)-Dosimetern, die eine Absorberschicht von 2,93 Millimetern (3 mm – 0,07 mm) gewebeäquivalentem Material besitzen, möglich. Bei allen Messungen der Augenlinsendosis ist insbesondere darauf zu achten, dass das Dosimeter an einer für die Augenlinse repräsentativen Stelle getragen wird.

Weiterführende Literatur ist unter anderem den Literaturverzeichnissen der folgenden Publikationen zu entnehmen:

  • ICRP Publication 118 – ICRP Statement on Tissue Reactions / Early and Late Effects of Radiation in Normal Tissues and Organs – Threshold Doses for Tissue Reactions in a Radiation Protection Context
  • ICRP – Dose limits to the lens of the eye: International Basic Safety Standards and related guidance, 2013
  • Strahlenschutzkommission: Überwachung der Augenlinsendosis. Stellungnahme der Strahlenschutz-kommission mit wissenschaftlicher Begründung, verabschiedet in der 240. Sitzung der SSK am 02.02.2010. BAnz Nr. 17 vom 01.02.2011, S. 374-382
  • Strahlenschutzkommission (SSK). Überwachung der Augenlinsen-Äquivalentdosis. Empfehlung der Strahlenschutzkommission, verabschiedet in der 277. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 02./03.07.15. BAnz AT 18.03.2016 B4; urn:nbn:de:101:1-201604043478
  • Strahlenschutzkommission (SSK) Überwachung der Augenlinsendosis – Stellungnahme der Strahlenschutzkommission mit wissenschaftlicher Begründung, 2010

Durchführung der Messung

Die rechtliche Grundlage wird im Abschnitt zur physikalischen Strahlenschutzkontrolle der Strahlenschutzverordnung (Teil 2, Kapitel 6, Abschnitt 1) geschaffen. Nach § 64 – Pflicht zur Ermittlung der Körperdosis – hat „der Strahlenschutzbeauftragte dafür zu sorgen, dass an Personen, die sich in einem Strahlenschutzbereich aufhalten, die Körperdosis ermittelt wird. […] Ist vorauszusehen, dass im Kalenderjahr die […] Organ-Äquivalentdosis der Augenlinse größer als 15 Millisievert sein kann, hat der Strahlenschutzverantwortliche (gemäß § 66 – Messung der Personendosis) dafür zu sorgen, dass die Personendosis durch weitere Dosimeter auch an einzelnen Körperteilen festgestellt wird.“

In Anlage 18 der Strahlenschutzverordnung – Dosis- und Messgrößen – in Teil A – Messgrößen für äußere Strahlung ist definiert, dass „die Äquivalentdosis in 3 Millimetern Tiefe im Körper an der Tragestelle des für die Messung vorgesehenen Dosimeters (die Augenlinsen-Personendosis HP(3) ist.)“

Vorbereitung

Sofern beruflich exponierte Mitarbeiter Tätigkeiten im Kontrollbereich und unmittelbar in der Nähe von Strahlenquellen nachgehen, sollte der/die jeweilige Strahlenschutzbeauftragte eine Abschätzung der Augenlinsendosimetrie durchführen. In Abteilungen, in denen die Anwesenheit im Kontrollbereich nicht notwendig ist, z.B. beim konventionellen Röntgen oder am CT (abgesehen von Interventionen am CT) oder in der Strahlentherapie, ist eine Augenlinsendosimetrie nicht notwendig, da ein ausreichender Schutz bereits durch den baulichen Strahlenschutz gewährleistet ist. Empfehlenswert ist eine Augenlinsendosimetrie insbesondere an Interventionsmessplätzen und bei Hochdosisanwendungen. Solche Modalitäten sind in der Regel im Bereich der Kardiologe, Gefäßchirurgie, Urologie, Orthopädie, Endoskopie und Gastroenterologie zu finden.

Der Strahlenschutzbeauftragte nimmt das Thema „Augenlinsendosimetrie“ zunächst mit in eine Teambesprechung und wählt und gemeinsam mit dem Team Mitarbeiter aus, die an der Überwachung teilnehmen. Die Auswahl der Mitarbeiter sollte bestenfalls alle involvierten Berufsgruppen und Erfahrungsstufen abdecken, da der Abstand zur Quelle und die Aufenthaltsdauer einen großen Einfluss auf das Messergebnis haben. In der Regel steht der Operateur näher an der Strahlenquelle als das medizinische Assistenzpersonal und erfahrene Ärzte benötigen für einen Routineeingriff weniger Zeit und Röntgenstrahlung als jüngere Kollegen.

Um repräsentative Messwerte zu erhalten, sollten die teilnehmenden Mitarbeiter, diejenigen mit der tendenziell höchsten Strahlenexposition sein, Vollzeit arbeiten und im Überwachungszeitraum keinen Urlaub haben. Enthält ein Monat viele Feier-, Krankheits- oder Urlaubstage, sind die Messwerte für eine Abschätzung ggf. anhand der Messtage und nicht anhand des Messmonats auf ein Jahr hochzuskalieren. Grundsätzlich ist eine Wiederholung der Messung über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten empfehlenswert, um eine wertige, statistisch sinnvolle Aussage treffen zu können.

Die Bestellung der Dosimeter ist relativ kostengünstig (ca. 10€). In der Regel sind auf den Onlinepräsenzen der Messstellen ausführliche Informationen zur Bestellung von Linsendosimetern zu finden. Bestellen Sie für jeden Mitarbeiter ein Dosimeter sowie ein Kopfband. Die Bestellung zusätzliche Dosimeter für Worst-Case-Abschätzungen (dazu mehr im nächsten Kapitel) ist empfehlenswert. Die Anzahl variiert je nach der Anzahl der Stellen, an denen die Dosimeter platziert werden können.

Zum aktuellen Zeitpunkt (12.2020) können noch keine HP(3)-Dosimeter von allen zuständigen Messstelle zur Verfügung gestellt werden. Alternativ können die ersten Testmessungen auch mit HP(0,07)-Dosimetern erfolgen.

Zuordnung und Anbringung

Die bestellten Dosimeter werden wie üblich geliefert. Diese Lieferung sollte die Dosimeter und Kopfbänder sowie einen Zuordnungsbogen enthalten. Dieser wird keine Namen enthalten, sondern lediglich die Dosimeter-Nummern. Gleichen Sie die Dosimeter-Nummern des Zuordnungsbogens mit den Nummern auf den Dosimetern ab. Legen Sie fest, welches Dosimeter für welchen Zweck verwendet werden soll und tragen Sie den Zweck in das jeweilige Feld „Name“ ein. Es wird also nicht der Name des Trägers eingetragen. In den für die Worst-Case-Messungen vorgesehenen Feldern tragen Sie den Messort z.B. „vor dem Bleiglas“ oder „Messung am XYZ“ ein. Nachdem alle Felder ausgefüllt worden sind, sollten Sie das Dokument einscannen und abspeichern. Ihre händisch eingetragenen Bezeichnungen werden von den Messstellen nicht auf den Ergebnisbericht übernommen, sodass die Zuordnung der Dosimeternummern nachträglich ohne den Scan nur auf Nachfrage bei der Messstelle möglich wäre. Von dem Eintragen von Namen bzw. einer amtlichen Dosimetrie ist bei den ersten Testmessungen abzuraten, da hohe Werte z.B. aufgrund von Verwechslung oder fehlerhafter Handhabung zu vermeidbarem Mehraufwand führen können.

Um einen halbwegs repräsentativen Messort zu gewährleisten, können die Dosimeter mit Kopfbändern mittig oberhalb der Augen befestigt werden. Einige Hersteller bieten bereits Strahlenschutzbrillen mit integrierten Detektoren, die sich seitlich vom Auge befinden, an. Die beiden Varianten bieten also völlig unterschiedliche Lösungen, insbesondere der Einfallwinkel der Strahlung variiert um 90°. Tragen Operateure OP-Brillen, Strahlenschutzkappen oder bereits Strahlenschutzbrillen eignen sich diese ggf. ebenfalls, um die Augenlinsendosimeter z.B. mit Duschpflastern anzubringen. Hier können ggf. auch mehrere Dosimeter gleichzeitig angebracht werden.

Die Messorte für die Worst-Case-Abschätzungen sollten die denkbar schlechtesten Aufenthaltsorte eines Mitarbeiters repräsentieren. Wird an Röntgenanlagen bei dem Großteil der Anwendung ein Bleiglas verwendet, bietet sich z.B. das Anbringen der Dosimeter an der Vorder- und Rückseite des Bleiglases an. Diese Messung eignet sich zudem zur Demonstration des Einflusses des Bleiglases. Der Vergleich lässt ggf. auch die Aussage zu, ob eine Augenlinsendosimetrie mit oder ohne Verwendung des Bleiglases dauerhaft notwendig ist.

augenlinsendosimetrie worst case messung im herzkatheterlabor
Worst-Case-Messung der Augenlinsendosimetrie im Herzkatheterlabor, in dem immer eine deckenhänge Bleiglasscheibe verwendet wird. Ein Dosimeter ist vor der Scheibe, eins dahinter mit Duschpflastern abwischbar fixiert. Die Dosimeter sind repräsentativ für zwei Operateure, die sich bei jeder Intervention unmittelbar über dem Patienten vor bzw. hinter der Scheibe aufhalten.

Die Worst-Case-Messorte sollten gemeinsam mit den tätigen Operateuren festgelegt werden, da diese die Messumstände (Wer hält sich wo und wie lange auf? Wo befindet sich die Röntgenanlage? Wo befindet sich der Streukörper (Patient)? Unter welchen Winkeln wird die meiste Strahlung appliziert?) am besten einschätzen können. Die Messorte sollten immer auf einer repräsentativen Stelle, auf Augenhöhe, angebracht werden. Sofern die Möglichkeit besteht, können die Dosimeter an einem kopfgroßen Streukörper angebracht werden, um  die Rückstreuung durch den Kopf zu berücksichtigen.

Die Messungen sollten unter keinen Umständen die klinische Routine negativ beeinflussen.

Einsenden der Dosimeter

Nach der Messung bzw. nach einem Monat schicken Sie die Dosimeter wie gewohnt zur Messstelle. Legen Sie einen Hinweis mit Ihrer E-Mail-Adresse und der Aufschrift

„Zur genauen Abschätzung der Äquivalentdosis der Augenlinse bitten wir Sie um die Angabe der ungerundeten Werte. Herzlichen Dank!“

zu den Dosimetern. Aufgrund absonderlicher Rundungsvorschriften, können Messwerte gravierend nach unten gerundet werden. Diese Runden können bei anschließender Skalierung auf 12 Monate einen relevanten Unterschied ausmachen.

Interpretation der Ergebnisse

Sobald der Ergebnisbogen von der Messstelle eintrifft, werden die Ergebnisse vom SSB auf ein Kalenderjahr hochskaliert und anschließend mithilfe des Grenzwerts für beruflich exponierte Personen (20 mSv/a) sowie dem Wert, ab dem eine Messung der Linsendosis notwendig ist (15 mSv/a) unter Berücksichtigung der Messumstände bewertet.

Für den Fall, dass die Messwerte (Mittelwert, Maximum) eine empfindliche Höhe erreichen, entscheidet der SSB gemeinsam mit dem MPE über das weitere Vorgehen und ggf. einzuleitende Maßnahmen.

Erfahrungsberichte

Die Werte der Augenlinsendosis hängen stark von der Fachdisziplin, dem röntgendiagnostischen Setup, den Arbeitsmethoden und den bereits etablierten Strahlenschutzmaßnahmen ab, sodass pauschale Aussagen nicht möglich sind.

Erfahrungsgemäß treten die tendenziell höchsten Werte in der Kardiologie, der Gefäßchirurgie und der Neuro-Radiologie auf. In diesen Abteilungen ist die Anzahl der Hochdosisanwendungen höher als z.B. in der Inneren Medizin (Endoskopie, Gastroenterologie, Pulmologie), der Orthopädie oder Chirurgie.

In der Urologie ist die Exposition des Oberkörpers beim Personal im Hinblick auf die verglichen geringen Dosisflächenprodukte unverhältnismäßig hoch. Grund dafür sind die – aus Sicht des Strahlenschutz – unhygienischen Übertischröhren bei typischen Uroskopen. Erschwerend kommt hinzu, dass bei komplexen Interventionen und Punktionen der Einsatz einer Bleiglasscheibe nicht immer möglich ist.

Worst-Case-Messungen können zeigen, dass zur Einhaltung des neuen Dosisgrenzwerts für die Augenlinsendosis der Einsatz von apparativer und persönlicher Strahlenschutzausrüstung zwingend erforderlich ist.

Über 85 % der beruflich überwachten Personen in medizinischen Betrieben wurden 2014 nicht exponiert (0 mSv/a). Bei über 99 % lag die berufliche Expostion unter 1 mSv/a (BfS, Strahlenschutzregister, Stand 2016). Die Messung am repräsentativen Ort, unter der Schürze, erfüllt zwar die gesetzlichen Anforderungen, führt aber auch dazu, dass Rückschlüsse auf persönliche Expositionen kaum möglich sind und das Vertrauen in erhöhte Werte verloren geht. Auf die Problematik der Vorgehensweise bei der aktuellen Personendosimetrie in Deutschland wurde z.B.  in einem Vortrag von Hr. Borowski auf der APT 2022 hingewiesen.

Da bei der Augenlinsendosimetrie ein Großteil der Messungen nicht wie gewohnt hinter der Röntgenschürze durchgeführt wurde, können die Messreihen sehr zur Sensibilisierung des Personals beigetragen. Eine regelmäßige Wiederholung der nicht-amtlichen Messungen ist empfehlenswert.

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